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Zeitungen: „Print hat noch immer Zukunft“

15.10.2025

Kommunikationswissenschaftler Neil Thurman über das Ende der gedruckten taz und die Stärken und Schwächen des Digitalen.

Prof. Dr. Neil Thurman

forscht u.a. darüber, welche Folgen es hat, wenn Zeitungsverlage Print-Ausgaben einstellen. | © jan greune

Neil Thurman ist Professor für Kommunikationswissenschaft an der LMU. Seine Forschung widmet sich dem Computational Journalism – also dem Zusammenspiel von Journalismus, Technologie und Daten. Weltweit untersucht er, welche Folgen es hat, wenn Zeitungen und Magazine ihre Printausgaben einstellen. Bevor Thurman an die LMU kam, lehrte und forschte er an der City St George’s, University of London.

Am Freitag erscheint die taz zum letzten Mal gedruckt – künftig bleiben nur noch Wochenendausgaben. Ist das ein mutiger Schritt oder ein Zeichen des Niedergangs?

Neil Thurman: In gewisser Weise beides. Natürlich zeigt der Schritt, dass die Leserschaft gedruckter Zeitungen schrumpft – vor allem unter den Jüngeren, die mit digitalen Medien aufgewachsen sind und meist noch nie eine Zeitung gekauft haben. Aber auch viele ältere Leserinnen und Leser wechseln inzwischen ins Netz.

Gleichzeitig ist es eine mutige Entscheidung – bei den taz-Mitgliedern sicher nicht unumstritten, aber aus finanzieller Sicht wohl notwendig. Denn während die Leserzahl sinkt, steigen die Kosten für Papier und Druck stark an. Wenn die Printausgabe mehr kostet, als sie einbringt, kann ihre Einstellung das Überleben der Zeitung sichern – auch wenn das Einbußen bei Sichtbarkeit und Leserbindung bedeutet.

Welche Erfahrungen haben Medien in anderen Ländern mit solchen Umstellungen gemacht?

Ich habe den Übergang zur rein digitalen Zeitung unter anderem beim britischen Independent und der finnischen Wirtschaftszeitung Taloussanomat untersucht, die 2016 beziehungsweise 2007 vollständig online gingen. In beiden Fällen hat sich der Schritt zumindest wirtschaftlich ausgezahlt: Der Independent etwa konnte erhebliche Druckkosten sparen und arbeitet seither profitabel – mit kleinen, aber stabilen Margen.

Was sich aber deutlich verändert hat, ist das Verhältnis zur Leserschaft. Die Zahl der monatlichen Leserinnen und Leser blieb zwar stabil, die Aufmerksamkeit sank jedoch dramatisch. Nach dem Ende der Printausgabe reduzierte sich die Zeit, die das Publikum tatsächlich mit dem Independent verbrachte, um rund 80 Prozent.

Zehn Sekunden pro Tag für eine Online-Ausgabe

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Fallstudie Online-Zeitungen: Wo Leser keine Zeit haben
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Woran liegt das?

Die Aufmerksamkeit der Leser ist online viel flüchtiger – ein Klick hier, ein Wisch dort, und schon ist man wieder weg. Gedruckte Zeitungen dagegen verlangen mehr Hingabe: Man bezahlt für sie, hält sie in der Hand, blättert darin, bleibt einfach hängen. Ein typischer Printleser verbringt an Werktagen etwa eine halbe Stunde mit der Zeitung, am Wochenende oft eine ganze.

Im Internet sieht das völlig anders aus. Unsere Studie zeigte, dass ein durchschnittlicher Leser der Onlineausgabe des Independent nur rund zehn Sekunden pro Tag mit ihr verbrachte – zehn Sekunden! Und während etwa die Hälfte der Printleser des Independent jeden Tag ihre Zeitung kaufte, besuchte der durchschnittliche Nutzende online dieselbe Nachrichtenseite nur zweimal im Monat.

Digitale Abos können Verlust an Werbeeinnahmen nicht kompensieren

Lässt sich der Verlust der Print-Einnahmen durch digitale Erlöse ausgleichen?

Die kurze Antwort lautet: Nein. Um das Jahr 2000 herum erreichten Zeitungen weltweit ihren wirtschaftlichen Höhepunkt. Dann kamen Google, Facebook etcetera – und übernahmen große Teile des Werbemarkts. Heute macht Facebook allein mehr Werbeeinnahmen als alle Zeitungen, Magazine und Radiosender weltweit zusammengenommen.

Digitale Abos können diesen Verlust nicht kompensieren. In Deutschland zum Beispiel zahlen nur rund 13 Prozent der Menschen überhaupt für Online-Nachrichten – und diese Zahl stagniert seit ein paar Jahren. Es ist einfach schwierig, Leserinnen und Leser zum Bezahlen zu bewegen, wenn es unzählige kostenlose Alternativen gibt.

Der Independent reagierte darauf, indem er auch das Publikum in den USA adressiert hat – etwas, das nur digital wirklich möglich ist. Für die taz ist eine solche globale Strategie kaum realistisch, da Deutsch nur von einer vergleichsweise kleinen Zielgruppe gesprochen wird.

Wie hat die Umstellung die Arbeit in den Redaktionen verändert?

Anfangs erstaunlicherweise kaum. Viele der Redaktionen, die wir untersuchten, hielten zunächst an ihren gewohnten Abläufen fest. In Finnland etwa hielten sich Journalistinnen und Journalisten noch lange an alte Druckschlusszeiten, was manche ihrer Chefredakteurinnen und Chefredakteure zur Verzweiflung trieb. Das hat sich erst mit der Zeit gegeben.

Online können Redaktionen zudem ganz genau sehen, welche Artikel gelesen werden. Dieses Feedback beeinflusst, was geschrieben wird und wie; häufig entstehen dadurch mehr Human-Interest-Geschichten, Lifestyle-Themen oder visuell reizvolle Formate. Der Independent etwa produziert heute deutlich mehr Videos als früher. Auch die taz wird sich wohl in eine solche Richtung entwickeln – hin zu mehr Visualität, Interaktivität und datenbasiertem Journalismus.

KI-Funktionen verringern Klicks auf Originalartikel

Welchen Einfluss haben KI-Tools auf Redaktionen und Publikum?

Einen erheblichen. Neue KI-Funktionen – wie Googles automatische Zusammenfassungen – verringern den sogenannten „Traffic“, also die Klicks auf Originalartikel, um bis zu 50 Prozent. Viele Verlage berichten deshalb über spürbare Reichweitenverluste. Es laufen bereits juristische Verfahren, weil KI-Systeme mit journalistischen Inhalten trainiert wurden, ohne die Verlage dafür zu entschädigen.

Gleichzeitig gibt es aber auch Ansätze zur Kooperation. Manche Medienhäuser schließen Partnerschaften mit KI-Unternehmen, um ihre Inhalte besser zu schützen oder Zugang zu neuen Werkzeugen zu bekommen. Konkurrenz und Kooperation gehen hier oft Hand in Hand – wie schon in früheren Phasen des Medienwandels.

Printkultur in Deutschland tief verwurzelt

Geht mit dem Niedergang der Printmedien auch das Vertrauen in den Journalismus verloren?

Print steht nicht automatisch für Glaubwürdigkeit, das ist von Land zu Land unterschiedlich. In Großbritannien etwa gelten Boulevardblätter wie The Sun oder News of the World für viele als Beweis, dass Zeitungen alles andere als vertrauenswürdig sein können. Letztere musste nach einem Abhörskandal sogar den Betrieb einstellen. Der öffentlich-rechtliche Sender BBC dagegen genießt größeres öffentliches Vertrauen.

Dennoch hat die Printkultur Qualitäten, die wertvoll bleiben: das ruhigere Tempo, die sorgfältigere Recherche und die längere Aufmerksamkeit ihrer Leserinnen und Leser. Online dominieren dagegen Geschwindigkeit und Klickzahlen. Es besteht die Gefahr, dass die Tugenden des Printjournalismus – Sorgfalt, Tiefe und Fokus – verlorengehen.

Dass mit der taz nun erst jetzt eine deutsche Tageszeitung diesen Schritt wagt, zeigt zugleich, wie stark die Printkultur in Deutschland verwurzelt ist. In kaum einem anderen Land genießen gedruckte Zeitungen so viel Vertrauen und kulturelle Bedeutung. Dass dieser Wandel hier erst jetzt stattfindet, zeigt, wie beständig und widerstandsfähig die deutsche Printlandschaft ist.

Hohes Vertrauen in gedruckte Zeitungen

Geht mit dem Niedergang der Printmedien auch das Vertrauen in den Journalismus verloren?

Print steht nicht automatisch für Glaubwürdigkeit, das ist von Land zu Land unterschiedlich. In Großbritannien etwa gelten Boulevardblätter wie The Sun oder News of the World für viele als Beweis, dass Zeitungen alles andere als vertrauenswürdig sein können. Letztere musste nach einem Abhörskandal sogar den Betrieb einstellen. Der öffentlich-rechtliche Sender BBC dagegen genießt größeres öffentliches Vertrauen.

Dennoch hat die Printkultur Qualitäten, die wertvoll bleiben: das ruhigere Tempo, die sorgfältigere Recherche und die längere Aufmerksamkeit ihrer Leserinnen und Leser. Online dominieren dagegen Geschwindigkeit und Klickzahlen. Es besteht die Gefahr, dass die Tugenden des Printjournalismus – Sorgfalt, Tiefe und Fokus – verlorengehen.

Dass mit der taz nun erst jetzt eine deutsche Tageszeitung diesen Schritt wagt, zeigt zugleich, wie stark die Printkultur in Deutschland verwurzelt ist. In kaum einem anderen Land genießen gedruckte Zeitungen so viel Vertrauen und kulturelle Bedeutung. Dass dieser Wandel hier erst jetzt stattfindet, zeigt, wie beständig und widerstandsfähig die deutsche Printlandschaft ist.

Welche Rolle spielt der Journalismus – gedruckt oder digital – heute noch für die Demokratie?

Eine zentrale. Auch wenn weniger Menschen regelmäßig Zeitung lesen, prägen Zeitungen weiterhin die öffentliche Agenda – ob in Fernsehen, Online-Medien oder in den sozialen Netzwerken. Und sie beschäftigen nach wie vor viele der Journalistinnen und Journalisten, die die Mächtigen kontrollieren und Missstände aufdecken.

Soziale Medien haben zwar größere Reichweite, produzieren aber selbst kaum eigene Inhalte. Die redaktionelle Kultur mancher Zeitungen – mit ihrem Anspruch auf Genauigkeit, Verantwortung und Dienst an der Öffentlichkeit – bleibt ein Grundpfeiler demokratischer Gesellschaften.

Wird es in zehn Jahren noch gedruckte Zeitungen geben?

Ja, ich bin davon überzeugt, dass Print noch immer Zukunft hat. Seit Jahrzehnten wird das Ende der Zeitung prophezeit – und doch gibt es sie immer noch. Eine Studie aus dem Jahr 2012 sagte zum Beispiel voraus, dass es in den USA ab 2018 keine gedruckten Zeitungen mehr geben würde. Tatsächlich erschienen in jenem Jahr noch über 7.000 lokale und landesweite Titel.

Noch heute erzielen Zeitungen und Magazine weltweit über 70 Prozent ihrer Auflagen- und Werbeerlöse mit Print. Es entstehen sogar neue Drucktitel – oft als Weiterentwicklung digitaler Projekte. Und manche Medien, die komplett auf digital umgestiegen waren, kehrten später wieder zum Papier zurück: etwa das Satiremagazin The Onion, Newsweek in den USA oder das Musikmagazin NME in Großbritannien, das nach einigen Jahren mit einer neu gestalteten, hochwertigen Printausgabe zurück auf den Markt kam. Ein solches Comeback ist also nicht ausgeschlossen – auch für die taz.

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